Teil 2: Palliation – die letzte Ummantelung

Als Medizinstudentin verbrachte ich einen Monat auf der Palliativstation.

Ich begann Geschichten zu schreiben. Über all die Momente, die ich dort erlebte. Aber vor allem über die Menschen, die ich dort kennenlernen durfte.

Benebelt 

Auf Station sprach man von einem ehemaligen Kneipenbesitzer. Für mich wurde er der Mann mit dem grünen Bein. Ich half den Krankenschwestern beim Verbandswechsel. Er litt an einer Verschlusskrankheit der Gefäße. Aufgrund des Gewebsuntergangs, der Nekrose, wurde ihm bereits sein rechter Unterschenkel amputiert. Am linken Bein hatte sich nun das gleiche Farbenspiel ausgebreitet. Die Zehen waren bereits tief schwarz und der gesamte Unterschenkel war fleischig grün. Sein Gewebe war im Begriff zu zerfallen. Trotz der starken Opiate fragte ich mich, wie er die Schmerzen ertrug.

Im Zimmer roch es modrig. Der scharfe Geruch benebelte meine Sinne und ich musste mich unter meinem Mundschutz, eingekleidet im Schutzkittel, zusammenreißen. Mir wurde leicht schwindelig. An seinen Armen spitzten einige verblasste Tattoos hervor. Er war ein waschechter fränkischer Kneipenbesitzer. So, wie ich ihn mir vorstellte. Im Laufe der Woche erzählte er viele alte Geschichten. Er genoss die langen Abende in der Stube, die Absacker mit seinen Freunden und besonders ausgiebig den Konsum von Alkohol und Zigaretten.

Das Hier und Jetzt hatte er hinter sich gelassen. So sagte er es uns. Eine zweite Amputation kam für ihn nicht in Frage. Er wollte nicht beide Beine verlieren. Er wusste, er würde sterben und darauf wartete er nun auch.

Seine Seele und sein Geist hatten sich wortwörtlich auf ein giftiges Ende vorbereitet.

Er verstarb einige Tage später.

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