Immer wieder sind mir in den letzten Jahren Menschen begegnet, die mir ganz klar und deutlich zu erklären versuchten, wie wir Geschöpfe auf diese Erde gesandt wurden. Sei es der fränkische Familienvater in der Vorstadt, die trendige junge Studentin an der Bar neben mir oder der kurz vor der Pension stehende ältere Herr im Service. Alle hatten eines gemein: Sie lehnten die Gesamtheit der Evolutionstheorien strikt ab.
Eine Freundin von Bekannten, der ich auf der ein oder anderen Feierlichkeit ab und an begegnete, liefert mir hierfür ein wundervolles Beispiel. Wissenschaftliches Arbeiten und Denken seien nicht ihre Stärke (Das bestätigte sie mir selbst..Zwinker..Zwinker..) und bereiten ihr keinerlei Freude. Sie sehe keinen Sinn darin, ihre kostbare Zeit damit zu verbringen. Sie sagte, sie glaube an Jesus und die Schriften des neuen Testaments. Ich möchte mehr wissen, beginne mich also auf sie und ihre Erzählungen einzulassen. Sie beschäftige sich hauptsächlich mit Fashion, Reisen, Beauty. Beauty, wie sie es nannte…
Schockierende Deformation, so nenne ich es. Je länger ich sie beim Sprechen beobachte, desto mehr erinnert sie mich an einen Fisch.
Blub.
Ihre Lippen wurden von Mal zu Mal praller. Ihr Gesicht..glänzend, aalglatt. Sehr unnatürlich erschien sie mir, fast schon abnormal, naturwidrig und irgendwie total gehemmt. Wortwörtlich gehemmt. Denn das Botulinumtoxin (Es ist ein Stoffwechselprodukt des Bakteriums Clostridium botulinum.) hemmt nun mal grundsätzlich die Freisetzung des wichtigen Transmitters Acetylcholin an unseren motorischen Endplatten. Das mimische Feuerwerk erlischt. Die uns geschenkten, wundervollen Gesichtsmuskeln werden schlicht und ergreifend gelähmt. Die einzigartige Mimik geht verloren und somit auch Teile, der nicht-sprachlichen, pragmatischen Fähigkeit. Wieso nehmen wir den Verlust dieses kostbaren Gutes in Kauf?
Nach solch einer Gesichtsbehandlung kommt es wohl nur selten zu erheblichen Nebenwirkungen und das Gift baut sich unterschiedlich schnell wieder ab. Aber ist es nicht trotzdem absurd, dass das selbe Gift was unter unserer Haut landet, in der Blutbahn verheerende Folgen anrichten kann? Manche Menschen führen dem Körper also einen Stoff zu, den unser Organismus oft automatisch als gefährlich einstuft und in Folge dessen Antikörper bildet.
Versteht mich nicht falsch. Ich möchte die Injektion von Botuliumtoxin hier nicht vollkommen ablehnen oder gar verunglimpfen. Faltenprävention und Glättung hin oder her…
Es gibt wie ich finde weitaus sinnvollere Gründe ihn einzusetzen. Beispielsweise in der Inneren Medizin. Dort findet es bei Analfissuren seine Verwendung. Auch die Neurologie bietet therapeutische Maßnahmen bei neuromuskulären Störungen (z.B. den Dystonien) an. Und auch die Dermatologie (z.B. bei übermäßiger Schweißbildung), Gynäkologie und Orthopädie können davon profitieren. Aber aus „ästhetischen Gründen“, so wie die junge Frau gleichen Alters es mir schilderte…mit Ende Zwanzig..hmmm..ich weiß ja nicht so ganz..
Meiner Meinung nach landen wir hier beim Thema Medikalisierung. Zunehmend mehr werden also Phänomene des normalen Lebens, wie hier das vermehrte Auftreten von Falten, als medizinisches Problem betrachtet und entsprechend behandelt. Ähnlich also wie die Veränderung der Haarfarbe aufgrund des Melatonin Mangels, die Wechseljahre oder Errektionsstörungen im Alter.
Das Ganze führt mich auch zum Thema der „Me, myself and I“ Bewegung.
„Ich möchte besonders jung und fresh aussehen.“, „Ja ein bisschen nachhelfen kann ich doch wohl noch.“, „Ich möchte besonders herausstechen und auffallen.“, „Ich bin einfach nicht wie die Anderen!“ Was ist denn mit unseren ganz eigenen und gesellschaftlichen Normen passiert? Ich habe einige Begriffe ausgewählt..zum ins Gedächtnis rufen. Die ausgewählten Wörter lassen sich prima umdeuten. Bezieh sie doch mal auf deinen Körper, deine Seele und auch die Begegnung und den Umgang mit anderen Menschen.
Genügsamkeit
Humanität
Minimalismus
Inbrunst
Ursprünglichkeit
Fällt dir noch einer ein? Lass es mich wissen!
Die kleine Pointe nun bringt mich wieder zu der jungen Frau, von der ich vorhin sprach. Letztlich führte sie sich selbst auf einen rückschrittlichen Pfad. Einen Weg, der sie in meinen Augen verwandelt und kein bisschen abhebt von der Masse. Evolutionsgeschichtlich, molekularbiologisch von einem Homo sapiens zurück zu einem fast stummen, dicklippigen Fisch.
Blub.